Lyrik von Menga Juon
Das Singen von unendlich vielen Liedern sowie mein tief literarisches Empfinden, liessen mich zur Lyrikerin werden. Die beiden Kunstformen sind dermassen miteinander verwachsen, dass das Fehlen der Sprache der einen die andere zum Verstummen bringt. Sowohl das Lied als auch die Poesie ermöglichen die unmittelbare Erfahrung der Übereinstimmung einer poetisierten Welt und des Selbst. "Klang um Klang" dichtete Eichendorff seine Liedtexte. "Klang um Klang", Gedanke um Gedanke, Phrase um Phrase erklingen in mir lyrische Worte, die ich den interessierten Lesern gerne eröffne. Meine Gedichte entstehen, der jeweiligen Inspirationsquelle folgend, in deutscher oder franzésicher Sprache. Menga Juon
Gehen
Sturmbewegtes Gehen
durch die Gärten so vieler Leben
Verharren in Wüsten bis endlich Wasser fliesst
Wachstum sich zu Leben vertieft
Alles im Wandel spriesst, dann zerfliesst
Menga Juon
Verspielt
Schön verspielte Töne
als Ebbe und Flut
Söhne aller Tonarten
die nie entarten
Lauter Doxologien
geschickt von den Engeln der Harmonien
die preisen das Höchste
Durverkündigung
in der Morgenluft des Dufts
Nicht zu dämmen ist die Flut
unendlich das Gut der Schöpfung
der Mutter ekstatischer Wahrsagung
Menga Juon
Opuntie
Wenn ich dich anfasse Opuntie
erkunde ich nicht den Schein der Form
Berühre ich dich
gleiten meine Finger nicht über irgendeine Norm
Komme ich zu dir
trage ich unter den Kleidern nichts
weder Gedankenbilder noch Offenbarungsängste
Öffne ich mich dir
dann ist es um dich zu empfangen
dich und keinen Grössenwahn
keine selbstgemeisselte Skulptur
Du hast mich berührt
deine Sinnlichkeit spricht mit mir
unter deinem Gewicht ergeb ich mich
vereine mit deinem Atem mich
Du sollst zu mir gelangen
nach deinem Verlangen
am Ufer meines Kerns
das Wasser des Orakels sehen
Bist du allein
in mir
Opuntie aus dem Hier
dann erkenn ich dich
tief in mir
Menga Juon
Samson
Samson
Ich liebe dein Haar
wenn es als Flut
sich wirft auf mein Gesicht
wenn es als Zwirn
sich verwickelt in meinen Fingern
sich verstrickt in meinem Herzen
umgarnt meine nackte Hüfte
Dein Haar fesselt mich
es webt sich in mich eis
Ich vergesse mich
um mich dann von ihm zu befreien
Goldschauer
unendlich langer Zauberfäden
das lauernde Schicksal zählt nicht
Das Wunder über den Wolken
gestaltet den Augenblick
Ich bewundere deinen Mut
Mein Samson
ich kenne deinen Ruhm
Wiedergeschenkt wurde dir deine Gabe
als göttliche Gnade
Der Löwe sitzt nun
als Freund zu deinen Füssen
Löwenmähne, Samsons Strähnen
Ich bin Dalila
bin deine Geliebte
auch im Traum
Ich bin Wind
feiner Schauer
stürmischer Regen
Sonnen- und Mondenschein
Blüten-und Erntegut
Ich gehe mit dir und von dir
Ich schneide dir nicht wieder
das lange Haar
in dem sich ballt
dein männlicher Lebenstrieb
Menga Juon
Sein
Ganz hier, mit dir
Um mich, im Licht
Zu dir, für dich
Ich im Mich
Nichts wollen oder sollen
Kein Bangen noch Verlangen
Ohne Erwarten und Verraten
Bloss eins, mit dir allein
Hören deine Stimme
Aufnehmen ihre Klänge
Weit hinein horchen in ihre Gesänge
Berühren das Verlangen ihrer Sinne
Sein
Dort, mit dir zu zwein
Geführt von ihm, mit ihm vereint
Zu zweit in ihm, allein
Ganz im Sein
Menga Juon
Glanz
Ketten, Armreife, Ringe
Felle, Schleifen und Gürtel
Perlen, Opale und Rubine
vereinen sich zum Spiele
Seide bedeckt samtige Haut
Augen verlieren sich
Sie lächelt, die Zeit im Wind
Eros bereitet seine Flügel aus
Edelsteine fallen aus Schlössern
zieren Hals und Brust
Im Saum des Schönen
spiegelt sich das alles Verwöhnende
es krönt das Haupt der Fee
des Prinzen auf dem See
Beckenschwung
herrlich jung
Lebenstanz
einmalig schimmernder Glanz
Menga Juon
Tiefe des Spiels
Schönheit benennen im Alternden
im sich immer mehr Faltenden
Zärtlichkeit erbitten von der Lust
auf der errungenen Brust
Tiefe des Spiels
auf den Stufen des rufenden Ziels
Länge des Vergänglichen
in der Mehrstimmigkeit des Endlichen
Ausgraben die Strassen der Ewigkeit
im lachenden Moment der Zeit
Menga Juon
So sind die denn laut geworden
Laut sind die geworden
laut und lauter werden sie werden
die unverschämten Seelenlosen
die sich grosstun
im Entblössten
im blechernden Triumph
im explodierenden Schein
im Fortschrittswalzen für das Robotergeschlecht
Zu Tode bestrahltes Gottesgeschlecht
Wie konnten wir es übersehen
wie konnten wir sie nicht spüren
die monströs metallisch klingenden Wehen
Wie kam es, dass wir es nicht wahrnahmen
das abartige Geschehen
Nun ist es um uns geschehen
ihr werdet es sehen
es wird nicht mehr lange gehen
Sie werden dermassen laut werden
unverschämt laut
eure Stimmen wird man gar nicht mehr vernehmen
Es sei denn
ihr spürt die Kraft des Blutes
eurer Ahnen in euren Adern
Es sei denn
ihr achtet das Leben
das strömt im letzten Fluss der Zeit
Hört auf die Warnrufe des Herzens
und werdet zu Menschen, den ihr einst gewesen
Menga Juon
Tropfen immer mehr
Ein Tropfen fiel auf eine Hand
seufzte erstaunt und rann
schwärmerisch in seinem Wahn
bis er bei ihr zur Ruhe kam
Tropfen immer mehr
geboren aus seinem Meer
hinterlassen Spuren auf ihren Sehnen
die sich erregt dehnen
Stürmische Tropfen
träumerisch verweilend
verirren sich so sehr
auf den Linien ihres Beckens liegen sie nunmehr
Weise Tropfen
glücklich versickernd
in sich öffnenden Logen
Niemand sieht sie mehr
Menga Juon
Die Seerose
Eine weitgereiste Seerose
kraftvoll in ihrem Wellenschlag
schwimmt über einen vergangenen Tag
der festklebt in der Trübnis der verlorenen Prosa
Gelangweilt hinter den Pforten des Zerberus
schaut er hoch zu den sonnenausgerichteten Blättern
die ihn ermutigen aufzutauchen
aus dem Moor seiner Unwetter
zu werden der Vater seiner Sterne
die warten auf eine grüne Ferne
Neugierig küsst er die Krone
der Königin der fliessenden Gewässer
legt sich kurz in ihren Strom
der ihn entreisst der Alltagsfron
Menga Juon
Leben
Kommen, gehen, bestehen
Sehen und verstehen
Im sich im Kreis vergehenden Leben
Geruht sich seinem Wahn ergeben
Vergeben im Leben
Leben im Vergeben
Geben und sich erheben
In ab- und aufsteigenden Wegen
Menga Juon
Matthäus
Bachs Passionen
die mich bewohnen
mich belohnen, bekrönen
ohne die ich längst verblutet wäre
nach dem Scherbenschnitt
der meine Leben durchschritt
Leben, die so vollkommen
in mir, von dir, wurden geboren
die Du allein mir hast auserkoren
Menga Juon
Götter
Mögen sie zurückkehren
die vertriebenen Götter des Lebens
Die alten Vertrauten
der Winde
der Sonne
der Ernte
der Liebe
des Gewitters
des Friedens
Die Götter aller Eigenschaften
die uns zum Menschen machten
Mögen sie bevölkern
die Felder der Erde
entbinden die Kräfte
befreien die Flüsse
öffnen die Adern
für den Puls des Schönen
des Lebendigen
des Notwendigen
Menga Juon
Löwin
Hell ist das Fell
der am Wegesrand gähnenden Löwin
die ihre Brüste in Res Augen sonnt
Feurig wartet ihr Herz
in der Magie ihres Körpers
auf die Erschaffung einer neuen Welt
Wer zog an ihrer Mähne
missachtete ihren goldenen Schwanz
und vergass das Begiessen der Erde ihrer Domäne
Sie wird ihr Haupt erheben
stolz durch die Wildnis ziehen
und vertraut sich vor ihr auf den Rücken legen
Menga Juon